Wenig Aufwand, große Wirkung – wie Micro Learnings Unternehmen in der Weiterbildung voranbringen
Kennst du das? Du sitzt in einem Meeting, ihr seid euch nicht einig und es kommt zum Konflikt. Doch der wird übergangen – das nächste Thema steht an. Als dann die Aufgaben verteilt werden, weißt du: Wenn diese beiden Personen zusammenarbeiten, verzögert sich die Arbeit ganz sicher. Vielleicht habt ihr diese Konflikte schon einmal angesprochen – aber nie richtig gelöst.
Dr. Sandra Hutterli
Solche Situationen gehören zum Arbeitsalltag. Häufig werden sie jedoch nicht aufgelöst. Es fehlt an Zeit, einem vertieften Verständnis der Ursachen sowie einem Repertoire an Handlungsoptionen. Die Folgen: negative Gefühle, Unzufriedenheit und Demotivation. Im schlimmsten Fall verlassen kompetente Mitarbeitende das Unternehmen.
Hier setzen Micro Learnings an. Sie helfen dabei, das Grundverständnis für unterschiedliche Zusammenarbeitssituationen und menschliches Verhalten zu erweitern und ein praxisnahes Handlungsrepertoire aufzubauen.
Micro Learnings basieren auf der Kognitionswissenschaft
Micro Learnings sind eine innovative Lernmethode. Dahinter steckt der Ansatz, sich über einen längeren Zeitraum wiederholt mit einem Thema auseinanderzusetzen, und zwar in kurzen Einheiten von maximal zehn Minuten. Das kann zum Beispiel so aussehen, dass ich mich über mehrere Wochen hinweg auf dem Weg zur Arbeit oder immer nach dem Mittagessen täglich zehn Minuten mit dem Thema Konfliktmanagement befasse.
Micro Learnings steigern den Lernerfolg, indem sie ein Thema in mehrere Einheiten zerlegen und dadurch die Inhalte überschaubarer machen. Auch die passenden Abstände und die fortwährende Wiederholung trägt dazu dabei, die Erfolgschancen dieser Art von Weiterentwicklung zu erhöhen. Für Unternehmen, die nach effizienten und wirksamen Weiterentwicklungsmethoden suchen, sind Micro Learnings ein wichtiger Bestandteil der Strategie beruflicher Weiterbildung.
Micro Learnings stärken die Aufnahmefähigkeit
Mit der steigenden Informationsflut und der Digitalisierung ist die generelle Aufmerksamkeitsspanne in den letzten Jahren gesunken (Lorenz-Spreen et.al. 2019). Es fällt Menschen schwerer, sich eine Stunde in einen umfassenden Lesetext zu vertiefen, als eine Stunde durch verschiedene Onlinemedien zu scrollen.
Aufmerksamkeit entsteht durch eine Reihe neuronaler Mechanismen, die Informationen selektieren. Was als wichtig erscheint, wird aufgenommen, der Rest ausgeblendet. Wenn ein Reiz vorhanden ist, sind Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit größer. Habe ich konkrete Fragestellungen aus dem Berufsalltag, zum Beispiel, dass ich mit Konflikten souveräner umgehen möchte, erhöht sich die Aufnahmefähigkeit.
Diese Erkenntnisse werden von professionell aufbereiteten Micro Learnings genutzt: Sie gehen von echten Problemstellungen des Alltags aus und zeigen verschiedene Facetten von Lösungsansätzen auf. Zum Beispiel: Welche Arten von Konflikten gibt es? Wodurch zeichnen sich Konfliktdynamiken aus? Wie kann ich meine Kompetenzen in Konfliktmanagement ausbauen?
Micro Learnings beeinflussen die Vergessenskurve positiv
Gemäss Vergessenskurve von Hermann Ebbinghaus (1885) vergessen Menschen im Durchschnitt 80 % des neu Gelernten während eines Monats. Wird ein Thema jedoch vernetzt, im Idealfall konkret in den Alltag integriert, verankert sich das Gelernte langfristig im Hirn.
Micro Learnings setzen hier an: Typischerweise folgt auf einen praxisrelevanten Input eine individuelle Übertragung in die Praxis. Ein solcher Praxistransfer findet idealerweise nach jeder zehnminütigen Einheit statt, indem zum Beispiel eine aktuelle Konfliktsituation analysiert wird: In welcher Phase befinden wir uns? Was ist meine Rolle? Welche der Handlungsansätze wende ich beim nächsten Meeting konkret an? Damit erhöhen Micro Learnings die Behaltensquote um 25 % bis zu 60 % (Todorov, 2024).
Neben Skills auch Haltungen (Mindset) weiterentwickeln
Doch nicht nur Fach- und Handlungskompetenzen sind für Weiterentwicklungen relevant. Denkweisen, Verhaltensmuster und Haltungen, oft auch Mindset genannt, bekommen mehr Gewicht. Das beeinflusst wiederum, wie wir mit Rückschlägen und Herausforderungen umgehen. Eine positive Haltung ist entscheidend für den Erfolg eines Unternehmens und prägt gleichzeitig die Gesundheit und die Motivation eines Menschen (Baluku et al. 2018).
Mit Micro Learnings können diese Aspekte gezielter weiterentwickelt werden, als das mit klassischen Weiterbildungen oder eLearnings erfolgt. Die kurzen Inputs von Micro Learnings sind wissenschaftlich fundiert und beleuchten psychologische Faktoren zum Verhalten von Menschen in gewissen Situationen. Sie zeigen Ursachen, Abhängigkeiten und Lösungsszenarien auf, um Entscheidungen zu treffen, bessere Beziehungen zu knüpfen, Stress und Ängste abzubauen oder klare Ziele zu setzen. In unserem Fall befasse ich mich beispielsweise mit dem Aspekt der Emotionalität in Konfliktsituationen. Welche Rolle spielt Emotionalität, wie gehe ich damit um? Wie kann ich sie positiv nutzen?
Das sind die Vorteile von Micro Learnings
Erhebungen in Unternehmen zeigen, dass der Bedarf an Micro Learnings steigt (Siepman 2021). Dafür gibt es gute Gründe:
- Wenig Zeitaufwand und einfach integrierbar in den Arbeitsalltag (79,1 %)
- Steigerung der Motivation (69,8 %) dank Zugang zu hochwertigen Informationen in kurzen Portionen über längere Zeiträume
- Modularisierbar (42,2 %) und damit ausbaufähig und kombinierbar mit Coachings und / oder Weiterbildungen
- Mobiles Lernen on demand, zeit- und ortsunabhängig (36,1 %)
- Direkter Praxisbezug, just in time, wenn erforderlich (22 %)
- Selbstbestimmtes, individualisiertes, flexibles Lernen (20,4 %)
So gelingt es, Micro Learnings ins Unternehmen zu integrieren
51 % der gut 440 befragten Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz geben an, Micro Learnings zu verwenden, 28 % haben es geplant (Siepman 2021). Diese hohen Zahlen haben Gründe: Herkömmliche Weiterbildungen verursachen oft hohe Kosten und Produktivitätsausfälle und reduzieren sich auf Einzelpersonen. Mit Micro-Learning-Serien kann ein Unternehmen dank kürzeren Lernzeiten allen Mitarbeitenden Weiterentwicklungsmöglichkeiten bieten, ohne die Produktion zu stark einzuschränken. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ein wichtiger Aspekt.
Mit Micro Learnings werden zudem auch Menschen zum Lernen motiviert, die sich die Zeit für Weiterbildungen nicht nehmen würden. 58 % der befragten Arbeitnehmenden gaben in einer Studie an, dass sie mehr Zeit für das Lernen am Arbeitsplatz aufwenden würden, wenn die Inhalte in kürzeren, mundgerechten Häppchen präsentiert würden. Die Tendenz ist steigend, zumal immer mehr jüngere Menschen ins Berufsleben eintreten. Diese sind mit sozialen Medien und digitalen Informationen gross geworden. Sie sind es sich gewohnt, auf Fragen schnell eine Antwort zu finden und Online-Apps zu nutzen. Typischerweise werden Micro Learnings in Form von kurzen Videos, Infografiken, Quiz oder Texten vermittelt, was dem Informationsverhalten junger Generationen entspricht.
Micro Learnings sind eine wirkungsvolle Lernmethode on the Job, um die eigene Haltung weiterzuentwickeln und das Handlungsrepertoire zu erweitern. Ihr volles Potenzial kann zusätzlich genutzt werden, wenn sie Teil einer Organisations- oder Personalentwicklungsstrategie sind und in Programme integriert werden. Sie können beispielsweise umfangreichere Weiterbildungen oder Teamentwicklungen ergänzen. In einem Talentprogramm mit Teambildungscamps dienen Micro-Learning-Serien etwa als individualisierte Vertiefungsblöcke.
Eine interessante Rolle können Micro Learnings zudem in der Weiterentwicklung für neue Rollen einnehmen. Klassische Weiterbildungen, zum Beispiel zum Scrum Master, fokussieren sich primär auf Rollenverständnis und methodische Kompetenzen. Sie beantworten selten konkrete Fragen zu Verhaltensmustern und Herausforderungen in der Zusammenarbeit. Ergänzende Micro Learnings bieten dazu das erforderliche psychologische, handlungsorientierte Verständnis für die Dynamiken in der Zusammenarbeit, der Kommunikation und dem Umgang mit anspruchsvollen Situationen in der neuen Rolle.
Den Erfolg von Micro Learnings messen – so geht’s
Worin zeigt sich der Erfolg von Micro Learnings bzw. wie kann dieser gemessen werden? Das sind zentrale Key Performance Indicators (KPIs), um die Wirkung von Micro Learnings zu messen:
- Engagement: Wie viele Mitarbeitende nutzen Micro Learnings?
- Praxistransfer: Wie viele Mitarbeitende setzen aktiv Praxistransfers aus den Micro Learnings um?
- Zeitersparnis: Wieviel Lern-/Weiterbildungszeit kann mit Micro Learnings eingespart werden gegenüber klassischen Weiterbildungen mit vergleichbaren Zielsetzungen/Inhalten?
- Lernerfolg: Wie haben sich Verhalten, Leistung und Zusammenarbeit nach einem Micro Learning verändert?
- Zufriedenheit: Wie beurteilen Mitarbeitende die Möglichkeit, sich mit Micro Learnings weiterzuentwickeln?
- Nutzungstrends: Welche angebotenen Micro Learnings sind besonders beliebt?
- Return on Investment (ROI): Wie ist der finanzielle Nutzen von Micro Learnings gegenüber traditionellen Weiterbildungen (Kosten-Nutzen)?
Der Erfolg von Micro Learnings zeigt sich zudem durch die Motivation und Zufriedenheit der Nutzenden, weil sie den Anforderungen moderner Arbeitsumgebungen mit zunehmender Digitalisierung gerecht werden. Im besten Fall tragen sie zum Halten von Mitarbeitenden in einem Unternehmen bei. Die hohe Flexibilität und Zugänglichkeit dank technologischer Plattformen ermöglicht es, jederzeit und überall zu lernen. Die modular aufgebauten und wiederholbaren Inhalte sowie interaktive und multimediale Elemente erhöhen die Lernbereitschaft und den Spaß am Lernen. Der Erfolg ist bereits nach kurzer Zeit spürbar.
Und in unserem Beispiel werden Konflikte im Team nicht mehr als lähmend hingenommen, sondern aktiv gelöst.
Quellen:
Baluku, M. M., Kikooma, J. F., & Otto, K. (2018). Positive mindset and entrepreneurial outcomes: the magical contributions of psychological resources and autonomy. Journal of Small Business & Entrepreneurship, 30(6), 473–498. Online 30.07.2024: Positive mindset and entrepreneurial outcomes: the magical contributions of psychological resources and autonomy: Journal of Small Business & Entrepreneurship: Vol 30 , No 6 – Get Access (tandfonline.com)
Lorenz-Spreen, P., Mønsted, B., Hövel P., & Lehmann S. (2019). Accelerating Dynamics of Collective Attention. In: Nature Communications. Online (30.07.2024): Accelerating dynamics of collective attention | Nature Communications
Siepmann, Frank (Hrsg., 2021). eLearning Benchmarking Studie. Teilstudie Bildungsmanagement und digitale Didaktik. Online (24.07.2024): eLJ_BMS2021_Digitale-Didaktik_youknow.pdf (you-know.de)
Todorov, Georgi (2024). 13 Insightful Microlearning Stats 2024. Online (30.07.2024): 13 Amazing Microlearning Stats, Facts, and Trends [2023] (thrivemyway.com)